Bedienungsanleitung für ALS Kranke

Vorab möchte ich festhalten, dass ich natürlich nicht für alle ALS-Kranken dieser Welt sprechen kann. Doch ich denke, dass Vieles, was hier aufgeführt wird, für die meisten zutrifft. Die jenigen Kranken, über die ich gelesen oder von denen ich sonst gehört habe, sind auf jeden Fall ähnlich selbstbestimmt (oder heißt es „renitent“?) wie ich. Und alle anderen dürfen gerne Ergänzungen und/oder Änderungen einreichen.

Zunächst einmal gilt es, ein paar Begrifflichkeiten zu klären. ALS, die „Amyotrophe LateralSklerose“ ist eine perfide, genial ausgeklügelte Krankheit, auch als MND, „Moto Neurone Disease“ bekannt. Zu trickreich und ausgeklügelt, als dass sie von Menschenhand stammen könnte, so wie man den Ursprung des HIV Virus in einem biologischen Waffenforschungslabor vermutet. Bei der ALS wird die Steuerung der Muskeln (Ausnahmen: Herz-, Augen- und Schließmuskel) durch zunehmende Deaktivierung der dafür zuständigen Neuronen immer stärker eingeschränkt bis sie alle zum Erliegen kommen, Atmung inklusive. Die 5 Sinne (bis auf das Sprechvermögen) bleiben genauso unberührt wie die kognitiven Fähigkeiten. Bei mir wurden die Sinne sogar geschärft, die Empfindlichkeit gegenüber lauten Geräuschen, starker Helligkeit und Gerüchen wurde gesteigert! Die Erkrankten leiden unter zunehmendem Muskelschwund, dem Verlust der Sprach- und Handlungsfähigkeit. Behandlungen oder Medikamente sind weder empfohlen noch notwendig, eine Heilung ausgeschlossen! Kurz gesagt: Input ok, Output nicht!

Sehen wir uns mal die Beteiligten an: da sind zuerst die an der ALS Erkrankten. Sie und ihre Angehörigen bilden die einzigen beiden Gruppen, die nicht freiwillig in diesen Prozess involviert sind. Raus aus dem normalen Leben gerissen und auf den Weg zum Pflegefall gesetzt. Das ist in hohem Maß frustrierend und macht wütend. Der Kranke wird kontinuierlich in einem unaufhaltsamen Prozess seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten beraubt. Er ist zunehmend auf Hilfe verschiedenster Art angewiesen und wird somit gezwungen, Fremden Zugang zu bisher privaten Bereichen - sowohl räumlicher als auch körperlicher Art - gewähren zu müssen. Wegen dieser unfreiwillig getroffenen Entscheidung gilt Hilfe primär erstmal als „Feind“.

Damit wären wir bei den Profis, der „Waschlappenfraktion“, bestehend aus Alten- und Krankenpflegern, Ärzten und Schwestern, Physiotherapeuten, Logopäden, Ergotherapeuten und Krankengymnasten. Dann gibt es noch die Gruppe der Praktikanten, Schüler und Auszubildenden, und die der freiwilligen und ehrenamtlichen Helfer. Zu guter Letzt sind da noch die, die ohne Warnung in die „Beziehung“ zu ALS-Kranken gerutscht sind: Angehörige und Freunde.

Nun, da die Teilnehmer bekannt sind, zu dem Spielfeld und einigen Grundregeln. Wenn der Kranke es sich leisten kann, findet die letzte Spielzeit bei ihm zu Hause, unter Einbindung externer Hilfe, statt. Er wird versuchen, gewohnte Abläufe so lange beizubehalten, wie es geht. Wenn nicht, bleiben Krankenpflegeheime, Hospize oder spezielle Einrichtungen. Hier ist der Kranke (aus Pflegesicht) am Besten aufgehoben, aber das spielt emotional für ihn keine Rolle - er wird die neue Lokalität hassen! Egal, was auch immer Sie versuchen. Also lassen Sie es besser gleich sein, und versuchen Sie keinesfalls ein „Ersatzzuhause“ zu erstellen. Nochmal zu den Gründen für den Umzug: unfreiwillig, erzwungen durch eine tödliche Krankheit. Aus demselben Grund unterlassen Sie bitte auch alle Versuche, der Freund des Kranken zu werden. Das klappt nur gelegentlich, und wenn, dann nur im Lauf der Zeit. Damit das funktioniert, ein paar grundsätzliche Verfahrensweisen und Kommunikationshilfen:

Rücken Sie dem Kranken nicht „auf die Pelle“. Sie brauchen Ihren Kopf nicht dicht vor sein Gesicht zu bringen, um gehört oder gesehen zu werden, es sei denn, Sie möchten ihn küssen. Auch eine Erhöhung der Lautstärke oder ständiges Wiederholen hilft nicht zu einem guten Verständnis, sondern nervt lediglich den Kranken!

„Nein“ bedeutet „nein“, egal wie oft Sie eine Frage abwandeln und/oder wiederholen. Schweigen bedeutet nicht unbedingt Zustimmung, sondern meistens: nichts.

Stellen Sie einfache, klare und unmissverständlich formulierte Fragen. Vermeiden Sie rethorische Fragen und Gemeinplätze wie „ich darf mal…“ oder „ich nehme das weg, ja?“ Letzteres weist kaum Merkmale einer Fragestellung auf. Eigentlich selbstverständlich, aber dennoch erwähnenswert, da es vorkommt: vermeiden Sie es, an den Kranken gerichtete Fragen selbst zu beantworten, sondern haben Sie etwas Geduld. Im besten Fall wird der Kranke lediglich sauer vor ohnmächtiger Wut, bei mir führt es dazu, dass ich die Kommunikation zur Gänze einstelle.

Warten Sie auf eine Antwort, ehe Sie die nächste Frage stellen, auch wenn es länger dauert.

Keinesfalls sollten Sie versuchen, den Kranken zu tätscheln oder streicheln. Bei mir löst das den Impuls aus, zu beißen…

Versuchen Sie, Ruhe zu vermitteln, Sätze wie „eigentlich bin ich etwas im Stress, aber versuchen wir mal…“ sind für erfolgreiches Arbeiten eher kontraproduktiv.

Jetzt noch zu ein paar Besonderheiten ALS-Kranker, die wahrscheinlich nur mich betreffen. Mir Getränke anzureichen, ist genauso einfach wie das Auftanken einer F17 in der Luft. Einmal angedockt, muss der Pilot den Abstand zum Tankflugzeug gleich halten. Lässt er den Abstand zu groß werden, reißt die Verbindung ab. Fliegt er zu nah ran, beschädigt er die Tankvorrichtung. Genauso verhält es sich bei mir mit dem (Still-)Halten von Tasse und Strohalm.

Da ich manchmal Stunden in meinem Fernsehsessel verbringe, ist für mich eine ausgewogene Sitzposition sowie der faltenfreie Sitz meiner Kleidung so wichtig, dass es nicht informierten Beobachtern wie eine kleine Psychose vorkommen muss! Dem ist nicht so - ich habe bloß eine Aversion gegen unnötige Schmerzen, Dekubitus und andere „Lagerschäden.“ Ein Hinweis zum Lagern: kippe ich permanent zu einer Seite, dann kann man die Sitzposition mittels unterstützender Kissen fixieren - oder (besser für mich) man sucht die entspannte Mitte…

Letztlich wird jeder am Erfolg gemessen. Mir persönlich ist es beispielsweise recht egal, ob man mir eine Jacke wie einen Pullover anzieht oder nicht - Hauptsache, sie passt und der Vorgang wurde schmerzfrei und mit vertretbarem Zeitaufwand absolviert!

Und noch ein letzter Tipp: Ihre Schicht dauert maximal 8 Stunden, danach kehren Sie in Ihr Privatleben zurück. Bitte vermeiden Sie während Ihres „Martyriums“ Gestöhne, Gejammere und - was mich betrifft - Smalltalk vor der ersten Tasse Kaffee. Konzentrieren Sie sich, vergegenwärtigen Sie sich, wo rechts und links ist und treten Sie selbstbewusst und mit eigener Meinung auf - dann sind Sie leichter auszurechnen. Freundlicher ausgedrückt: dann weiß der Kranke/Gast/Patient, was er an Ihnen hat. ;-)

2 Antworten auf “Bedienungsanleitung für ALS Kranke”

  1. frau be sagt:

    hallo tono,
    so einiges spricht mir da aus der seele!
    lg

  2. Jörg Ruthmann sagt:

    Servus Tono, irgendwie scheinen einige Leute Dir ja mal wieder mächtig den Tag vermiest zu haben. Aber ich kann es mir gut vorstellen was passiert ist. Auf jeden Fall hast Du deinen auch sonst schon immer schwarzen Humor nicht verloren und ich denke du genießt es auf www.radio.de den FFN Comedy Kanal zu hören und einfach nur an Frieda und Anneliese zu denken. Es lohnt sich auf jeden Fall da mal reinzuhören.
    ICh habe es mir mit dem Ipad gemütlich gemacht und es einfach nur genossen.

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